Design Talk mit Dr. Sebas­tian Friess

«Circular Design und  Kreis­lauf­wirt­schaft sind keine Ideale – sondern wirt­schaft­liche Notwen­dig­keit». Ein Gespräch mit Dr. Sebas­tian Friess, Vorsteher Amt für Wirt­schaft des Kantons Bern.

Der neue Status­be­richt zur Kreis­lauf­wirt­schaft in der Schweiz liefert ein aktu­elles Bild zum Stand der Trans­for­ma­tion. Was nehmen Sie persön­lich daraus mit – gerade im Hinblick auf den Wirt­schafts­standort Bern?

Der Kanton Bern beher­bergt gross­mehr­heit­lich KMU, viele davon inha­ber­ge­führte Betriebe, welchen nach­hal­tiges Unter­neh­mertum beson­ders wichtig ist. Die aktu­ellen Zahlen zeigen, dass derzeit v.a. die «Pioniere» in die Zirku­la­rität inves­tieren und das Thema noch nicht breit besetzt ist oder die finan­zi­ellen und perso­nellen Ressourcen noch nicht ausrei­chend für diese Inves­ti­tionen vorhanden sind. Vor diesem Hinter­grund ist es wichtig, dass wir Lücken aufzeigen und Wege auch von öffent­li­cher Seite skiz­zieren, wie die Unter­nehmen vermehrt in Rich­tung Zirku­la­rität gehen können.

 

Welche Rolle spielt der Kanton Bern im natio­nalen Vergleich, wenn es um Kreis­lauf­wirt­schaft und nach­hal­tige Inno­va­tion geht?

Im Kanton Bern ist die stra­te­gi­sche Veran­ke­rung zirku­lärer Geschäfts­ak­ti­vi­täten ähnlich ausge­prägt wie im Schweizer Durch­schnitt. 30 % der Unter­nehmen geben eine mässige (CH: 29 %), 24 % eine mitt­lere (CH: 19 %) und 5 % eine starke Veran­ke­rung (CH: 8 %) im Status­be­richt der Schweizer Kreis­lauf­wirt­schaft 2024 an. Auch beim Inves­ti­ti­ons­ver­halten zeigt sich ein vergleich­bares Bild. Wir möchten die Umset­zung der Kreis­lauf­wirt­schaft im Kanton Bern und in der Schweiz aktiv mitge­stalten und KMU dabei unter­stützen. Sehr gerne auch als Pionier­kanton.

 

Welche Entwick­lungen beob­achten Sie aktuell bei den Berner Unter­nehmen – gibt es Bereiche, in denen die Dynamik beson­ders spürbar ist?

Wir sehen, dass Berner Unter­nehmen beispiels­weise in den Bran­chen, Ernäh­rung, Bau, Mobi­lität, Medtech und MEM-Indus­trie Wissen aufbauen und dort, wo sie insbe­son­dere gesetz­liche Vorgaben erfüllen müssen, aktiv sind. Weitere Treiber sind Kosten­ein­spa­rungen, Effi­zi­enz­stei­ge­rungen, unsi­chere Liefer­ketten aber auch Lieferanten‑, Kunden- und Mitar­bei­ter­erwar­tungen. Gerade die Verfüg­bar­keit von Rohstoffen ist ein wich­tiger Treiber für die Kreis­lauf­wirt­schaft: wie schnell sich Liefer­ketten verän­dern und Landes­grenzen im Ernst­fall schliessen lassen, haben wir zu Beginn der Coro­na­virus-Krise gesehen – und vorher nicht für möglich gehalten.

Wo sehen Sie die grössten Heraus­for­de­rungen, wenn es darum geht, Kreis­lauf­wirt­schaft stärker in den Unter­neh­mens­alltag zu inte­grieren?

Unter­nehmen müssen sich stra­te­gisch die Frage stellen, wie sie ihr Geschäfts­mo­dell auf mehr Nach­hal­tig­keit ausrichten. Wenn dieser oft mehr­jäh­rige Prozess abge­schlossen ist, fängt die Umset­zung an. Die Heraus­for­de­rungen sind primär in diesem Prozess zu finden: hohe Inves­ti­ti­ons­kosten, Mangel an quali­fi­ziertem Personal und hohe Markt­un­si­cher­heit.

 

Wie kann die Stand­ort­för­de­rung Unter­nehmen konkret unter­stützen, wenn sie sich nach­hal­tiger und ressour­cen­scho­nender aufstellen wollen??

Die Stand­ort­för­de­rung Kanton Bern vergibt beispiels­weise Direkt­bei­träge an Inves­ti­tions- und Innova- tions­vor­haben der Unter­nehmen. Diese Beiträge richten sich an Unter­nehmen, die expan­dieren oder in ihren Produkten, Märkten oder Prozessen inno­vieren. Dazu gehören auch Projekte der Kreis­lauf­wirt­schaft. Zusätz­lich werden Berner Unter­nehmen gezielt durch die be-advanced AG mit bedürf­nis­ori­en­tiertem Coaching in allen Phasen des Unter­neh­mens­le­bens­zy­klus unter­stützt. Ferner können wir im Rahmen der Neuen Regio­nal­po­litik über­be­trieb­liche Unter­neh­mens­pro­jekte (also Initia­tiven, in denen mehrere Unter­nehmen gemeinsam tätig sind) der Zirku­la­rität unter­stützen. Ausserdem gibt es eine Reihe von Infra­struk­turen im Bereich ange­wandter Forschung und Entwick­lung, welche wir im Kanton Bern gemeinsam auf den Weg gebracht haben. In diesen Orten finden tech­no­lo­gie­ori­en­tierte Unter­nehmen Ideen, Hilfe­stel­lungen und mögliche Anknüp­fungs­punkte für die nach­hal­tige Produk­tion. Ferner unter­stützen wir die Allianz Kreis­lauf­wirt­schaft Bern, welche als eine von mehreren Platt­formen die verschie­denen Akteure der Kreis­lauf­wirt­schaft im Kanton Bern vereint.

In vielen Projekten zeigt sich, dass die Trans­for­ma­tion vor allem durch Koope­ra­tionen gelingt. Welche Bedeu­tung messen Sie der Zusam­men­ar­beit zwischen Wirt­schaft, Forschung und öffent­li­cher Hand bei?

Ich messe der Zusam­men­ar­beit eine sehr hohe Bedeu­tung bei. In der Kreis­lauf­wirt­schaft müssen viele komplett neue Lösungen er- und gefunden werden. Dafür brau­chen Unter­nehmen kompe­tente Forsche­rinnen und Forscher, Umset­zungs­partner und viele andere, die zusammen mit ihnen die neuen Lösungen erar­beiten. Und es braucht viel­leicht auch ein anderes Kunden­ver­halten – auch das zeigt sich an neuen Zusammenarbeitsformen.q

Digi­ta­li­sie­rung und tech­no­lo­gi­sche Inno­va­tionen gelten als wich­tige Treiber für Kreis­lauf­wirt­schaft. Wie stark beein­flussen diese Entwick­lungen Ihre Arbeit im Amt für Wirt­schaft?

In unserem Amt ist die Digi­ta­li­sie­rung voll im Gang. Beispiels­weise haben wir in der Stand­ort­för­de­rung den Antrags- und Entscheid­pro­zess für Inves­ti­ti­ons­hilfen voll digi­ta­li­siert. Weiter sehen wir z. B. im Switz­er­land Inno­va­tion Park Biel/Bienne eine rasche Erwei­te­rung des Dienst­leis­tungs- und Infra­struk­tur­an­ge­bots auf mehr neue nach­hal­tige Produk­ti­ons­tech­no­lo­gien, die die Umstel­lung auf die Kreis­lauf­wirt­schaft unter­stützen können.

 

Viele Unter­nehmen stehen an der Schwelle zwischen guten Ideen und der tatsäch­li­chen Umset­zung. Wo sehen Sie hier den grössten Hebel – Wissen, Finan­zie­rung oder Haltung?

Unsere kanto­nale Inno­va­ti­ons­för­der­agentur be-advanced berichtet uns, dass es sehr oft die opti­male Kombi­na­tion dieser Faktoren braucht, um erfolg­reich eine Inno­va­tion auf dem Markt zu lancieren und Kunden dafür zu gewinnen. Geld allein wird die Kreis­lauf­wirt­schaft nicht voran­bringen.

 

Der Design Preis Schweiz beschäf­tigt sich in dieser Ausgabe erneut mit Circular Design. Welche Bedeu­tung hat Gestal­tung aus Ihrer Sicht für wirt­schaft­liche Erneue­rung und nach­hal­tige Entwick­lung?

Das Design gilt immer mehr als Schlüssel zu wirt­schaft­li­chem Erfolg, weil es die Chance bringt, Produkte und Werte eines Unter­neh­mens in Einklang zu bringen. In der Kreis­lauf­wirt­schaft kommt der Gestal­tung eine grosse Bedeu­tung zu, da entlang der gesamten unter­neh­me­ri­schen Wert­schöp­fungs­kette Vieles neu gestaltet werden muss. Im Produkt­de­sign benö­tigen Unter­nehmen lang­le­bige und modu­lare Produkte mit schad­stoff­freien Mate­ria­lien, in der Herstel­lung neue Lösungen für unge­nutzte Kapa­zi­täten und am Produkt­le­bens­ende müssen sie die wert­vollen Mate­ria­lien erhalten und den Kreis­lauf sicher­stellen. Das sind Mammut­auf­gaben für cleveres Design.

 

 

 

Wenn Sie einen Blick in die Zukunft wagen: Was wünschen Sie sich, dass sich in den nächsten Jahren im Bereich Kreis­lauf­wirt­schaft und Inno­va­tion im Kanton Bern verän­dert?

Wir wünschen uns viele Berner Unter­nehmen, die sich wagen, trotz einigen Hemm­nissen zirku­läre Inno­va­tionen anzu­gehen und ihre Verant­wor­tung gegen­über den kommenden Gene­ra­tionen und der Umwelt zu über­nehmen. Wir wünschen uns eine Politik, die mit Bedacht und trotzdem mutig handelt. Und ich persön­lich wünsche mir eine ideo­logie-freie Debatte in der und für die Kreis­lauf­wirt­schaft. Im Begriff steckt sehr viel «Wirt­schaft» – und damit unsere Lebens­grund­lage.