Design Talk mit Lydia de Iorio
«Gestalten heisst Loslassen — und dem Material zuhören». Ein Gespräch mit Keramikerin Lydia de Iorio.
Challenge: Woran arbeitest du gerade in deinem Atelier — was fordert dich im Moment am meisten heraus?
Gegenwärtig arbeite ich an verschiedenen Aufträgen — von der Wunschvase über den Hundenapf bis hin zum Auftragsservice. Die grösste Herausforderung besteht darin, mir genügend Raum zu schaffen, um eigene gestalterische Themen zu vertiefen und zu realisieren — mich ganz auf etwas einlassen zu können, ohne zeitlichen oder finanziellen Druck zu spüren.
Passion: Wie prägt das Handwerk deine Haltung als Gestalterin und welchen Stellenwert hat dabei die Intuition?
Das Handwerk hat mein Interesse an Materialität, an Herstellungsprozessen und an der Wertigkeit der Dinge vertieft. Um intuitiv gestalten zu können, braucht es handwerkliches Verständnis und Können. Das Verstehen und Beherrschen des Handwerks wird mit der Zeit selbst zu etwas Intuitivem — Handwerk und Gestaltung gehen für mich untrennbar miteinander einher.
Wunsch-Kooperation: Mit wem würdest du gerne einmal ein gemeinsames Projekt umsetzen?
Ich würde sehr gerne mit Kindern und Jugendlichen künstlerisch arbeiten, die keinen einfachen Start ins Leben hatten oder sich in schwierigen Lebenssituationen befinden. Dafür wünsche ich mir eine Zusammenarbeit mit Fachpersonen aus sozialen und pädagogischen Institutionen, um ein Gefäss zu schaffen, in dem diese jungen Menschen kostenlos teilnehmen können. Das wäre meine Herzenskooperation.
Im handwerklich-gestalterischen Bereich arbeite ich besonders gerne mit Köch:innen und Florist:innen zusammen — ich liebe die Herausforderung, die Bedürfnisse und Ansprüche des Gegenübers keramisch umzusetzen und gemeinsam Neues zu schaffen.
Vorbilder: Welche Designer:innen oder Künstler:innen haben dich auf deinem Weg geprägt?
Ehrlich gesagt bewahre ich mir ganz bewusst meinen eigenen Raum und möchte meine gestalterische Sprache möglichst unbeeinflusst entwickeln. Nicht, dass mich andere Gestalter:innen nicht interessieren — im Gegenteil: Es interessiert mich sehr, wie andere Menschen ihre Umwelt wahrnehmen und ihr Ausdruck verleihen. Doch ich brauche für mich diesen Rückzug, um frei gestalten zu können.
Wenn ich jemanden nennen soll, dann Ettore Sottsass. Während meiner Ausbildung bin ich auf seine Arbeit gestossen. Sein Streben nach Emotionalität, Sinnlichkeit und Poesie im Design — und seine Überzeugung, dass Gestaltung über reine Funktionalität hinausgehen soll — das fühl ich mega.
Dinner-Runde: Mit wem aus der Design- oder Kunstszene würdest du dich gerne an einen Tisch setzen — und worüber würdet ihr sprechen?
Wenn ich in die Vergangenheit reisen könnte, würde ich gerne Künstler:innen begegnen, die durch die Erfindung der Fotografie herausgefordert waren, die Malerei neu zu denken. Diese Zeit des Umbruchs, mit all ihren Fragen, Unsicherheiten und Möglichkeiten, fasziniert mich sehr.
Ich würde die Impressionisten und Wegbereiter der Moderne gerne treffen — Paul Cézanne, Giovanni Giacometti, Cuno Amiet — und natürlich Ettore Sottsass, aus den oben genannten Gründen.
Im Hier und Jetzt wären es Chiharu Shiota und Doris Salcedo, zwei sehr inspirierende Künstlerinnen. Ich würde gerne mehr über ihre Intentionen erfahren — und vielleicht über Fragen sprechen wie: Kann Kunst heilen — oder berührt sie Wunden, die einfach gesehen werden wollen?
Muss Kunst verstanden werden — oder darf sie offenbleiben, damit jede:r darin etwas Eigenes findet?
Hotspot: Welcher Ort in Langenthal inspiriert dich im Alltag besonders? — und wenn du es weiterfasst: Welcher Ort auf der Welt gibt dir Energie für deine Arbeit?
Es ist nicht ein bestimmter Ort, sondern vielmehr die Natur in und um Langenthal, die mich inspiriert und mir guttut. Vor allem lange Spaziergänge und Wanderungen schenken mir Kraft und Inspiration. Besonders die Stille, das Licht und die Farben in den Bergen liebe ich sehr.
Inspiration: Gibt es etwas, das du nur in Langenthal findest — und das direkt in deine Arbeit einfliesst?
Was ich an Langenthal besonders liebe, ist das Zusammenspiel von Wasser und Wald. Gewiss gibt es das auch an vielen anderen Orten — doch es ist ein Geschenk, es hier täglich erleben zu dürfen.
Es sind das Menschsein, die Natur und das Miteinander, die mich berühren und in meine Arbeit einfliessen.
Tradition & Zukunft: Keramik ist ein jahrhundertealtes Handwerk. Wo siehst du die Zukunft dieser Tätigkeit, auch in Hinblick auf Nachhaltigkeit?
Für die Zukunft des keramischen Handwerks wünsche ich mir, dass der Fokus wieder stärker auf individueller und persönlicher Keramik liegt — auf der Intention hinter dem Werk: Für wen oder was entsteht dieses Stück?
Ich wünsche mir ein bewussteres, ressourcenschonenderes Gestalten — weg von der Massenware, hin zu langlebigen Objekten mit emotionalem Mehrwert.
Material: Was fasziniert dich am meisten an der Arbeit mit Keramik?
Mich fasziniert das grosse Spektrum des keramischen Prozesses — dass sich die Konsistenz und Beschaffenheit des Materials bis zum letzten Brand stetig verändern und sich auch die gestaltgebenden Schritte diesem Wandel anpassen müssen.
Event: Hast du Berührungspunkte mit dem Design Preis Schweiz? Falls ja: Was bedeutet dir dieser Anlass persönlich?
Bisher hatte ich keine direkten Berührungspunkte mit dem Design Preis Schweiz. Ich finde es jedoch sehr wertvoll, dass es eine Plattform gibt, die das Schweizer Designhandwerk sichtbar macht und würdigt.
Alltag: Du bist seit mehreren Jahren selbstständig und arbeitest viel — woraus schöpfst du deine tägliche Motivation?
Es ist nicht immer einfach — vor allem der finanzielle Druck ist mal mehr, mal weniger gut auszuhalten. Und doch ist es mein grösster Wunsch und Wille, meinen Fähigkeiten und gestalterischen Interessen kompromisslos zu folgen.
Es ist ein stetiges Spannungsfeld zwischen schöpferischer Willenskraft, Dankbarkeit und Realität — etwas, das mich anstrengt, aber auch antreibt.
Zeitreise: Wenn du in zehn Jahren zurückschaust — welche Spuren möchtest du mit deinem Schaffen hinterlassen haben?
Solange ich lebe, möchte ich Menschen Mut machen, auf ihre Herzensstimme zu hören — auch dann, wenn alles dagegen spricht oder es mit Schmerz, Einsamkeit oder anderen Entbehrungen verbunden ist.
Ich wünsche mir, dass mein Schaffen Spuren hinterlässt, die andere ermutigen, mutig sie selbst zu sein und ihrer Herzensstimme zu folgen.